Stefan Andres

Die Versuchung des Synesios

München : Piper, 1971
Taschenbuchausg. ebd., 1990

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Inhalt

Prisca, die Witwe des Synesios, zieht nach dessen Tod nach Alexandria zu ihrem Schwager, dem Präfekten. Hier muß sie erleben, wie ein christlicher Mob die Philosophin Hypatia, die Lehrerin des Synesios, ermordet. Sie erzählt Synesios' Leben seit der Zeit, als sie ihn in Alexandria kennenlernte.

Nach ihrer Heirat gehen Synesios und Prisca in seine Heimat, die Kyrenaika. Dort leben sie zunächst zurückgezogen auf dem Gutshof, den Synesios' Großvater Doros gegründet hat. Doch Synesios kann sich den Notwendigkeiten der Zeit nicht entziehen und geht auf eine lange Gesandtschaft nach Constantinopel, die um Steuererleichterung nachsuchen soll. In seiner Abwesenheit bemerkt Prisca, daß die unsichtbaren Grenzen des Hofes verletzt werden; jemand vergiftet die Hunde. Endlich kehrt Synesios zurück. Er setzt auf dem Doroshof als neuen Verwalter den Juden Leonidas ein und zieht mit Prisca eine Zeitlang nach Kyrene, um wieder in der Öffentlichkeit zu leben. Nach einer Konfrontation mit dem General Andronikos gehen die beiden und ihre Kinder aber wieder zum Doroshof zurück.

Dort befürchtet man Überfälle der Wüstenstämme. Synesios läßt ein Kastell errichten und kämpft gegen die Räuber. Diese erhalten Unterstützung von Andronikos, aber Synesios kann sie mit Hilfe von germanischen und hunnischen Söldnern schlagen. Andronikos wird abgelöst und durch Anysios ersetzt. Synesios und Prisca überlegen dennoch, aus der Kyrenaika wegzugehen, da kommt das Gerücht auf, daß Synesios zum Bischof von Ptolemais gewählt werden soll. Es ist mehr als nur ein Gerücht: eine Gesandtschaft angesehener Personen erscheint, um Synesios davon zu überzeugen, daß er, obwohl bisher ungetauft und verheiratet, der richtige Mann als Metropolit ist. Synesios will nicht rundheraus ablehnen und stellt Bedingungen: er kann seine philosophischen Überzeugungen nicht aufgeben. Der Patriarch von Alexandria läßt sich nicht beirren und weiht Synesios zum Bischof. Triumphal kehrt dieser nach Ptolemais zurück und trifft zum ersten Mal wieder mit Andronikos zusammen, der zur gleichen Zeit Praeses der Provinz geworden ist.

Synesios nimmt Abschied vom Doroshof und zieht mit seiner Familie in den Bischofspalast von Ptolemais. Sein Amt nimmt er sehr ernst. Nach einiger Zeit kommt es auf einer Feier wieder zu einer Auseinandersetzung mit Andronikos. Phaidon, der älteste Sohn von Synesios und Prisca, stirbt an einer Seuche. Prisca und Synesios' Sekretär Chilos finden heraus, daß der Archidiakon Laokoon heimlich eine Biographie des Synesios schreibt, in der er vor allem Prisca verleumdet, aber auch Synesios in einem schiefen Licht erscheinen läßt. Nachdem Andronikos immer dreister wird, schreibt Synesios eine offene Anklage gegen den Praeses, die als Hirtenbrief in allen Gottesdiensten verlesen werden soll. Deswegen kommt es zum ersten Mal zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und Laokoon. Synesios muß sich auch um die Frage kümmern, wie die Eunomianer behandelt werden sollen, die im christologischen Streit von der katholischen Lehre abgewichen sind. Am Palmsonntag verliest Synesios seinen Brief gegen Andronikos und zieht mit seiner Gemeinde vor den Palast des Praeses. Weil Andronikos nicht aufhört, sich an Synesios' Anhängern zu vergreifen, überlegt dieser jetzt, den Praeses unter Bann zu stellen. Chilos und Prisca berichten Synesios von Laokoons Intrigen. Beim Gründonnerstagsgottesdienst droht Synesios dem Andronikos den Bann an, wenn er nicht die Gefangenen freilasse. Dies tun der Praeses und Laokoon am Ostermorgen auch, doch Synesios' Freunde sind schlimm gefoltert. Laokoon geht nach seiner Entlassung zu Synesios' Bruder Euoptios. Mit seiner Familie fährt Synesios ein letztes Mal für kurze Zeit auf den Doroshof. Nach seiner Rückkehr erläßt er an Pfingsten die Bannbulle über Andronikos. Der Praeses verschwindet und wird auch offiziell abgesetzt. Über Euoptios will er aber mit Synesios verhandeln, als die Wüstenvölker die Kyrenaika bedrohen. Synesios geht darauf nicht ein. Als er seine Kinder in Sicherheit auf den Doroshof bringen will, werden sie überfallen und getötet. Später lockt man Synesios selbst mit einem fingierten Brief in die Wüste - er taucht nicht wieder auf. Als Euoptios und nach seinem Tod dann Laokoon zum Metropoliten gemacht werden, geht Prisca nach Alexandria.

Bewertung

Ein schönes Beispiel für die Möglichkeiten des historischen Romans, auch ohne formale Finessen (vom einleitenden Rahmenkapitel einmal abgesehen) und ohne ins rein Antiquarische abzugleiten, eine historische Epoche so zu schildern, daß zugleich ein Bezug ins Allgemeine hergestellt wird. Die Geschichte des Synesios ist die Tragödie eines Mannes, der versucht, das Althergebrachte und die von ihm für richtig erkannten Traditionen mit den Erfordernissen einer neuen Zeit zu vereinen. Dabei muß er scheitern, weil er nicht bereit ist, sich so sehr anzupassen und zu wandeln wie seine Gegner. Aber obwohl ihm dies bewußt ist, kommt er dem nach, was er als seine Verpflichtung empfindet.

Die Welt der Spätantike schildert Andres auf recht überzeugende Weise. Ihm kommt dabei natürlich die Quellenlage zugute: Synesios ist uns durch seine eigenen Werke als Person recht gut bekannt, und auch sonst wissen wir über die Zeit um 400 n. Chr. eine ganze Menge, jene Epoche, als das "Heidentum" endgültig der neuen christlichen Kraft weichen mußte und die Antike zu Ende ging, besser: sich verwandelte. Andres hat die Stimmung dieser Zeit aus den Quellen wohl ziemlich gut erfassen können.