Classical whodunnits

London : Robinson, 1996; New York : Carroll & Graf, 1997

[Die in der griechischen Antike spielenden Geschichten sind nicht aufgenommen; die noch fehlenden Geschichten aus der römischen Zeit werden nachgetragen.]

Lindsey Davis: »Investigating the Silvius boys«

Inhalt

Ein Ermittler aus Alba kommt an den Ort, wo gerade Romulus, einer der Enkel des Königs von Alba, seinen Bruder Remus erschlagen hat. Er sucht die neue Siedlung auf dem Hügel auf, wo ihm zuerst die Pflegeeltern der Zwillinge, Faustulus und Larentia, entgegentreten, bevor Romulus selbst erscheint. Als der Ermittler ihn befragt, leugnet er seine Tat nicht ab, die im Ärger über Remus' Spott über den Stadtmauerbau seines Bruders geschah. Aber Romulus ist überzeugt, ein höheres Ziel zu haben, den Ausbau seiner neuen Stadt, und der Ermittler gibt sich damit zufrieden, ja bleibt sogar in Rom, wie der Ort jetzt heißt.

Viele Jahre später berichtet der alte Ermittler einem jungen Berufskollegen von den Ereignissen; er läßt dabei erkennen, daß er es nie ganz verwinden konnte, Romulus für den Mord nicht zur Rechenschaft ziehen zu können. Als der junge Ermittler hört, daß der bei den Senatoren nicht beliebte Romulus angeblich in einem Sturm verschwunden ist, wird auch seine professionelle Neugier geweckt …

Bewertung

In einer Abwandlung des ironischen Tons, der ihre Falco-Romane kennzeichnet, schildert Lindsey Davis die bekannten Ereignisse bei der Gründung Roms mit den Augen und den Begrifflichkeiten eines modernen Großstadt-Detektivs. »Historisch« ist daran natürlich kaum etwas, weder die Ereignisse um Romulus noch die Gestalt des namenlosen Ermittlers, aber die kurze Geschichte läßt sich doch ganz amüsant lesen.

Keith Taylor: »The favour of a tyrant«

Inhalt

Archimedes, Mathematiker am Hof des Königs Hieron von Syrakus, hat die Aufgabe übernommen, mit Hilfe seiner mechanischen Vorrichtungen das Riesenschiff des Königs, die Syrakosia, zu Wasser zu lassen. Er wird dabei unterstützt von seinem Chefhandwerker Phanes (dem Ich-Erzähler). Als Phanes die Kräne für den Stapellauf herrichtet, wird er beinahe getötet; der scheinbare Unfall beruht auf Sabotage. Später erfährt Phanes, daß auch Archimedes nur knapp einem vermutlichen Anschlag entgangen ist, als er im Theater ein Stück des Dichters Lysander ansah. Kurz vor dem Stapellauf besuchen Archimedes und Phanes ein Gastmahl Hierons, bei dem auch die römischen und karthagischen Gesandten, der Schiffbauer Archias sowie Lysander anwesend sind. Am Morgen des Stapellaufs entdeckt Archimedes, daß man in der Nacht den Rumpf der Syrakosia angebohrt hat. Phanes gelingt es, die Schäden auszubessern, so daß der Stapellauf gelingt. Archimedes hat den Saboteur inzwischen durch logische Überlegungen entlarvt: Lysander, der auch Architekt und Bildhauer ist und gern den Platz des Archimedes eingenommen hätte; er verläßt bald darauf Syrakus.

Bewertung

Die nette Geschichte ist als Kriminalfall nicht allzu aufregend, liest sich aber flüssig. Der durch seine Entdeckung des spezifischen Gewichts und vor allem ihre Umstände allgemein als findiger Kopf bekannte Archimedes ergibt natürlich einen maßgeschneiderten Detektiv, auch wenn die Kürze der Erzählung ihm nicht allzu viel Profil verleiht.

Viele der berichteten Einzelheiten über das Riesenschiff Syrakosia stammen direkt aus der antiken Überlieferung bei Athenaios,[[1]] von der Taylor allerdings in einigen Punkten abgewichen ist. Nach Athenaios (bzw. seinem Gewährsmann Moschion) war das Schiff erst halbfertig, als es mit Archimedes' Hilfe zu Wasser gelassen wurde, und auch keine Mischung aus Ruderkriegsschiff und Frachter, sondern ein reiner Segler.[[2]] Belegt ist dagegen z. B. die Bleiverkleidung des Rumpfs und die extravagante Ausstattung, bis hin zu einem Fischbassin. Zwei (natürlich aus heutiger Sicht nicht exakte) Darstellungen des Schiffes aus den Jahren 1798 und 1799 finden sich in der Bilddatenbank Pictura Paedagogica Online.

Steven Saylor: »The white fawn«

Siehe separate Zusammenstellung der Kurzgeschichten dieses Autors.

John Maddox Roberts: »The statuette of Rhodes«

Siehe separate Zusammenstellung der Kurzgeschichten dieses Autors.

Edward D. Hoch: »The things that are Caesar's«

Inhalt

Die Kurtisane Cybele erhält Besuch von ihrem ständigen Freier, dem Dictator Caesar, der sie seit längerem incognito aufsucht. Als Cybele ihn beschuldigt, seine Tochter Iulia ins Unglück gestürzt zu haben, erdolcht Caesar sie.

Der Praetor Brutus ermittelt in dem Mordfall und findet einiges über Cybeles letzten Besucher heraus. Aufgrund eines Verdachts, der sich entwickelt, überprüft er auch Caesars Alibi. Danach versammelt er einige Freunde und berichtet ihnen, daß alle Indizien dafür sprechen, daß Caesar die Prostituierte umgebracht hat. Es fehlt aber noch der entscheidende Beweis. Brutus findet heraus, daß Cybeles Mörder nach der Tat seine beschädigte Sandale ersetzt hat; der Sandalenmacher identifiziert Caesar. An den Iden des März wollen Brutus und seine Freunde Caesar wegen der Mordtat absetzen, doch als der Dictator sich zur Wehr setzt, bringen sie ihn um.

Bewertung

Das Werkchen ist eigentlich kein »whodunnit«, weil der Mörder sofort feststeht, und auch sein Ende an den Iden des März dürfte für keinen Leser eine Überraschung darstellen. Immerhin leistet Brutus einige Ermittlungsarbeit, wenn dies auch kaum Aufgabe eines Praetors war. Seine Erkenntnisse führen schließlich zu Caesars Ermordung, deren Begründung somit nicht mit der in den Geschichtsbüchern übereinstimmt (was Brutus in einer augenzwinkernden Schlußbemerkung befürchtet). Es handelt sich bei dieser Geschichte also um eine Art »secret history«, die fiktive Rekonstruktion von Hintergründen für bekannte Ereignisse. Ernstnehmen kann man dies hier freilich nicht (auch innerhalb der Logik der Geschichte kommt der Entschluß, Caesar abzusetzen und schließlich sogar umzubringen, ein wenig abrupt), es ist vom Autor aber wohl auch gar nicht so gemeint. Dem Vielschreiber Hoch kam es offenbar vor allem auf den Spaß an, ein welthistorisches Ereignis einmal aus einer ganz ungewohnten Perspektive darzustellen. (Anders zum Beispiel die Romane von Steven Saylor, die eine ernsthafte Darstellung der späten Republik sein wollen, auch wenn Elemente von »secret history« nicht völlig fehlen.) Genauigkeit bei den Fakten hat er deshalb gar nicht erst angestrebt, und eine Einzelkritik kann hier unterbleiben.

Ron Burns: »Murderer, farewell«

Inhalt

Der Dichter Ovid wird von seinem langjährigen Freund, dem Kaiser Augustus, beauftragt, einen Mord aufzuklären, der sich im Kaiserpalast ereignet hat. Das Opfer ist der angesehene Feldherr Marcellus, und nachdem Ovid dessen Bewegungen in den letzten drei Tagen vor seinem Tod aufgeklärt hat, fällt der Verdacht auf Tiberius, den Stiefsohn des Kaisers, der Anlaß gehabt hätte, seinen Nebenbuhler zu beseitigen. Ovid verzichtet jedoch darauf, ihn trotz anscheinend eindeutiger Beweise zu verhaften, denn er kennt die Wahrheit, die er dem Kaiser ins Gesicht sagt, als dieser ihn rufen läßt: Augustus selbst hat Marcellus umgebracht, weil dieser sich seinen sexuellen Avancen widersetzt hat. Der Kaiser läßt Ovid entgegen dessen Erwartung nicht umbringen, sondern schickt ihn in die Verbannung, in der er Jahre später stirbt, nachdem auch der neue Kaiser Tiberius ihn nicht zurückrufen läßt.

Bewertung

Auf die Geschichte von Hoch folgt im Band gleich ein weiterer Versuch, bekannte historische Gestalten unter einem neuen Gesichtspunkt zu zeigen, doch diesmal noch blamabler gescheitert. Die Verbannung Ovids ist bis heute geheimnisvoll geblieben, so daß Burns durchaus das Recht hat, über die wahren Gründe zu spekulieren, doch entstellt er dabei unnötigerweise auch völlig gesicherte Tatsachen, und am Ende entsteht eine Art Fantasy-Geschichte, in der außer einigen Namen kaum etwas stimmt. [Nur die “platter and loincloth”-Vorschrift für Hausdurchsuchungen, die ich ursprünglich als fiktiv erklärt hatte, stammt tatsächlich aus dem Zwölftafelgesetz (lance et licio) und ist bei Gellius (Noctes Atticae 16, 10, 8) und Paulus ex Festo überliefert.]

So war Ovid keineswegs ein langjähriger Vertrauter des Augustus, und die Vorstellung, als Dreizehnjähriger habe er dem Bürgerkriegssieger die Anregung zur res publica restituta einschließlich des Namens Augustus gegeben, ist mehr als absurd. Marcellus Gaius (sic), das Mordopfer, ist trotz des nicht völlig aus der Luft gegriffenen Namens eine fiktive Gestalt. Es gibt bei Burns keine Andeutung davon, daß Ovid verheiratet war; dafür hatte Tiberius im Jahr 8 n. Chr. keine Frau, mit der Ovid ein Verhältnis hätte haben können (S. 139 mit 135 und 144).

»Delator« ist kein Amt, in das man eingeschworen werden kann (S. 137; »Delator of Rome«).

Auch die Chronologie weist zahlreiche Probleme auf: Das Jahr 31 v. Chr. ist nach keiner römischen Zeitrechnung das Jahr 719. Augustus war im Jahr 8 n. Chr. siebzig, nicht 68 Jahre alt (S. 132). Ovid hat die Metamorphosen Jahre nach der Ars amatoria geschrieben, nicht umgekehrt (S. 134).

Es werden moderne Wochentage genannt, die zu diesem Zeitpunkt in Rom noch ungebräuchlich waren. Modern sind auch »Tivoli« oder »broccoli«. Im Altertum gab es keine Gabeln zum Essen (S. 142).

Während die Persönlichkeit des Augustus ein wenig verzerrt erscheint (nicht nur durch die ihm hier zugeschriebenen sexuellen Präferenzen), ist Burns' Ovid, so fiktiv er auch ist, wenigstens eine halbwegs interessante Gestalt. Das beste an der Geschichte sind aber ohne Zweifel die eingestreuten Zitate aus Gedichten des echten Ovid.

Anmerkungen

1. 5, 206d–209b, mit englischer Übersetzung wiedergegeben bei Lionel Casson, Ships and seamanship in the ancient world (Princeton, 1971), S. 191–199; dort S. 185–186 auch Überlegungen zur mutmaßlichen Größe des Schiffes. Dazu jetzt Jean MacIntosh Turfa und Alwin G. Steinmayer Jr., “The Syracusia as a giant cargo vessel”, International journal of nautical archaeology 28 (1999), 2, 105–125, die eine Wasserverdrängung von mehr als 4200 Tonnen und eine Länge von etwa 61,5 m annehmen. [zurück]

2. Athenaios 207c gibt an, daß es nach dem Modell eines eikosoros (“Zwanziger”) erbaut war. Gemeint ist damit aber kein Ruderschiff mit 20 Bänken (Taylor, S. 20: “ ‘twentier’ galley”; der griechische Ausdruck dafür wohl: eikoseres), sondern ein gesegeltes Handelsschiff; vgl. Casson, a. a. O., S. 169 mit Anm. 5.[zurück]

30. März 2011: Korrektur zur Vorschrift “Platter and loincloth” in der Kurzgeschichte “Murderer, Farewell“