Werner Hörnemann

Hanno zwischen zwei Welten : ein abenteuerliches Schicksal

Recklinghausen : Bitter, 1993

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Inhalt

Der junge Sugambrer Hanno flüchtet über den Rhein in das römische Gebiet, um der Blutrache seiner Vettern zu entgehen. Er gelangt auf einen Gutshof im Land der Ubier und wird als Helfer des Rinderhirten "Eidechse" aufgenommen. Viele der Hofbewohner, darunter die Verwalterin Emilia, sind Hanno zunächst nicht sehr freundlich gesonnen; das ändert sich aber allmählich, als Hanno, der alle Arbeiten klaglos übernimmt, sich als fähig und hilfsbereit herausstellt. Besonders nachdem er Fanni, den Hund Emilias, gesundgepflegt hat, steigt sein Ansehen, und er wird für zahlreiche Arbeiten auf dem Hof herangezogen, auch für Botengänge; bei einem davon findet er eine Goldmünze.

Achilles, eines Sklave des Herrn Breniacus, besucht den Hof; er ist als Händler von Glanzkeramik unterwegs und erzählt von der Stadt Köln. Hanno wird wieder als Hirt beschäftigt und muß sich weiterhin gegen die Nachstellungen einiger Jungen vom Gut wehren. "Eidechse" wird von einem tollwütigen Fuchs gebissen und stirbt; Hanno erlebt zum ersten Mal eine Feuerbestattung nach römischer Art.

Als im Sommer die Zeit der Ernte kommt, ist auf dem Hof viel zu tun. Zwischendurch brennt auch noch der Hof eines Nachbarn ab. Schließlich gibt es ein großes Fest nach beendeter Ernte, für das vor allem die Frauen viel tun müssen. Von den drei Jungen, die Hanno gequält haben, wird einer fortgeschickt, ein anderer von einem Pferd totgetreten. Am Ende des Jahres verlassen viele den Hof zu einem Urlaub; die meisten werden wiederkehren, aber nicht die junge Secundina, zu der sich Hanno etwas hingezogen fühlt.

Im Winter gibt es auf dem Hof nicht so viel zu tun, und die Leute finden Zeit, sich um unheilvolle Vorzeichen zu sorgen. Secundina ist gestorben, wie ihre Schwester Bella berichtet. Durch den langen Winter werden Wölfe zu den Siedlungen getrieben und fallen eine Kuh an. Hanno will sie mit seinem Hirtenstab vertreiben, doch erst der Verwalter Lucius, ein ehemaliger Legionar, kann einen der Wölfe mit dem Speer erlegen. Lucius erzählt Hanno später, wie er einmal einen Bären mit dem Bogen getötet hat, und berichtet von seiner Zeit in der Legion.

Als der Frühling einsetzt, kommen Nachrichten von Aufständen, die bei den Treverern ausgebrochen sind. Gavia, die Frau des Breniacus, wurde von Räubern erschlagen, und Emilia reist sofort zum Herrn nach Köln. Da erscheint eine Truppe von batavischen Soldaten auf dem Hof. Sie gibt an, für den neuen Kaiser Vespasian zu kämpfen, und requiriert alles Geld und Vieh. Hanno muß die Rinder für sie forttreiben. In der Nacht kann er fünf Kühe heimlich wieder zurückbringen, dazu eine Signaltrompete, die einer der Bataver wohl gestohlen hat. Die Lage auf dem Hof ist jetzt ziemlich schwierig, zumal die Kämpfe sich ausbreiten. Hanno will einem Reisenden für seinen Aureus das Pferd abkaufen, und als der Reiter ihm die Münze zu stehlen versucht, schlägt Hanno ihn mit einem Steinwurf nieder und bringt das Pferd zum Hof. Dort erscheint eines Tages ein Haufen Bewaffneter, wohl Germanen, und versucht, Lucius durch Folter dazu zu bringen, ihnen das versteckte Korn zu zeigen. Hanno sieht dies mit an und gibt auf der Trompete das Angriffssignal der römischen Truppen, worauf die Germanen flüchten. Seinen Aureus gibt er für die Besorgung von Leinöl, um Lucius zu behandeln, den die Plünderer über einem Feuer geröstet haben. Allmählich kehrt wieder Ruhe ein, als die Truppen des neuen Kaisers Vespasian im Lande sind.

Bei einem Botengang wird Hanno von Quintus, dem ehemaligen Schmied des Hofes, gefangengenommen. Dieser will ihn als herrenlosen Flüchtling versklaven, da Breniacus Hanno bisher nicht offiziell in seine Familia aufgenommen hat. Hanno muß nach Köln mitkommen und lebt dort in Ketten unter unmenschlichen Umständen. Schließlich bleibt er, halb verhungert und von Quintus immer wieder verprügelt, wie tot liegen. Quintus läßt ihn von zwei Mülleuten beseitigen.

Auf dem Hof hat man vergeblich nach Hanno gesucht. Als Emilia, jetzt die Witwe des Breniacus, und Bella von einem Besuch nach Köln zurückkehren, findet Fanni den fast leblosen Hanno in der Gräberstadt. Die Frauen bringen ihn ins Stadthaus und versuchen, ihn wieder auf die Beine zu bringen. Dies gelingt ganz allmählich, mit Hilfe der Essigmedizin, die Hanno einst an Fanni versuchte, und eines griechischen Arztes. Hanno kommt wieder zu Kräften und sieht sich in der großen Stadt um. Da läuft ihm Quintus über den Weg. Er kann entkommen, aber der Schmied fordert seinen angeblichen Sklaven vor Gericht zurück. Ein junger Rechtsanwalt sorgt aber dafür, daß die Verhandlung gut ausgeht: er zeigt, daß ein Herr, der einen kranken Sklaven aussetzt, diesen freiläßt. Außerdem ist Quintus in Wirklichkeit ein gesuchter Mörder, wie sich herausstellt. Endlich kehrt Hanno mit Emilia auf den Hof zurück. Damit er in Zukunft sicher leben kann, beschließt Emilia, ihn zu adoptieren und zu ihrem Erben zu machen.

Bewertung

Das Jugendbuch zeichnet sich vor allem durch seine "flache" Perspektive aus, bei der der Leser nicht mehr erfährt als Hanno selbst, und beiden erst allmählich Einzelheiten über das Leben unter römischer Herrschaft klar werden. Dies gilt sowohl für die Verhältnisse auf dem Hof als auch für auswärtige Ereignisse; die Kaisererhebung des Vitellius z. B. erhält nicht mehr Aufmerksamkeit, als dies unter den Umständen wahrscheinlich war. Der Bataveraufstand wird so geschildert, wie man ihn auf einem solchen Hof wohl erlebt hat, wobei die historisch belegten Einzelheiten als Gerüchte auftauchen, darunter realistischerweise auch solche, die gar keine Grundlage haben (Vespasian in Mainz und Trier, 140).

Der Autor hat sich eine gewisse Beschränkung auferlegt und nicht alles über die Römer in Germanien unterzubringen versucht. Dabei gibt es durchaus zahlreiche didaktische Passagen, die aber meist recht geschickt in die Handlung eingebaut sind. Ungewöhnlich ist, daß kein Vor- oder Nachwort, keine Abbildungen und kein Anhang zusätzliche Sachinformationen geben, nur eine Karte.

In den geschilderten Realien gibt es relativ wenig faktische Fehler, aber Beneficiarier waren selbstverständlich literat (83); Vitellius war nicht schon der dritte Kaiser nach Nero, sondern erst der zweite (103). Der Bataveraufstand ist etwas vordatiert: im Frühjahr 69 konnte noch niemand für Vespasian eintreten, ob ernsthaft oder zum Schein (124). Eine Frau als vilica ohne einen vilicus an ihrer Seite ist ungewöhnlich, wird aber mit der besonderen Beziehung von Emilia zum Herrn erklärt (119). Während für die Ortsnamen grundsätzlich moderne Formen verwendet werden, tragen Sachen in der Regel die antike Benennung (anachronistisch: eine "Oper" in Köln, 157).

Die Handlung ist nicht ungeschickt angelegt und verläßt kaum einmal den Rahmen des Wahrscheinlichen; nur das Ende ist vielleicht ein wenig zu harmonisch geraten. Hanno wirkt zwar meist deutlich älter als etwa zwölf Jahre, dies ist aber durch die Umstände, unter denen er aufgewachsen und in die er geraten ist, gut erklärlich. Freilich wird nicht ganz deutlich, wie er "zwischen zwei Welten" steht, weil er sich sehr schnell an seine neuen Lebensumstände gewöhnt und mit seiner sugambrischen Heimat praktisch schon abgeschlossen hat, als der Roman beginnt. Parallelen zur Situation moderner Flüchtlinge sind möglich, aber nicht die Hauptaussage des Romans.

Weitere Meinungen

Johannes Wölbert, Jugendbuchmagazin 43 (1993), 214:

"Was dieses Buch auszeichnet, ist der historische Einblick auf die Nahtstelle zwischen römischer Kultur und germanischen Lebensformen."