Iris Kammerer

Der Tribun

München : Heyne, 2004

(Zur Inhaltsangabe)

Bewertung

Der recht umfangreiche, aber gut zu lesende Roman ist der erste Band einer geplanten Trilogie mit Cinna als Hauptfigur. Mit den Augen eines Historikers gelesen, überzeugt er vor allem durch den Versuch eines realistischen Germanenbildes, soweit dies bei der Diskrepanz zwischen literarischen und archäologischen Quellen überhaupt möglich ist. Dies erstreckt sich z. B. auf die Rekonstruktion germanischer Namen (so wird Arminius in heimischer Zunge zu Ermanamers; meiner Beurteilung entzieht sich, ob es dafür eine belegbare Grundlage gibt). Vor allem ist der Aufstand gegen Varus recht differenziert dargestellt, mit einer Erhebung der Auxiliartruppen als Kern, wie sie zuerst Dieter Timpe rekonstruiert hat. Die aktuelle Forschung hat dies weitgehend übernommen und ist auch sonst rezipiert, so etwa bei Einzelheiten der Varusschlacht gemäß den Ausgrabungen bei Kalkriese.

Daneben wurden natürlich die antiken Quellen, insbesondere Tacitus, herangezogen, aber unter Vermeidung der früher üblichen Germanentümelei. So erscheinen die Germanen auch nicht, wie jüngst noch bei bei Kastner, als teilweise übermenschliche Krieger; hier muß vielmehr ein Römer den Germanen erst beibringen, wie man mit dem Schwert im Zweikampf umgeht. Die Germanen waren eben nicht das wilde Kriegervolk, als das sie mitunter dargestellt worden sind, sondern den Römern zunächst einmal militärisch weit unterlegen und darauf angewiesen, sie – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn – mit den eigenen Waffen zu schlagen. Die Loyalitätskonflikte, die aus der Art der römischen Herrschaft erwuchsen, sind überzeugend dargestellt, und Arminius wird konsequent negativ gezeichnet, weil aus der Perspektive Cinnas bzw. der Familie Inguiotars gesehen.

Die Sichtweise Cinnas dominiert den Roman auch sonst, was die anderen Personen teilweise ein wenig farblos erscheinen läßt (sehr schnell hat der Leser gemerkt, daß Saldir, Hraban und Thauris Cinna zugetan sind, und dabei bleibt es bis zum Schluß). Sunja bekommt hoffentlich in den folgenden Bänden noch etwas mehr Konturen, ohne die Personenzeichnung zu sehr durch moderne Befindlichkeiten zu beeinflussen, was die Autorin weitgehend vermieden hat – völlig von den Lesegewohnheiten und -erwartungen eines modernen Publikums abzusehen ist natürlich nicht möglich.

Wie im Genre üblich, sind auch ein paar Antiquaria eingebaut, die nicht unbedingt aus der Handlung folgen, so das Begräbnis Godareths, ansonsten ist z. B. die Jahreszeitenfolge geschickt mit der Handlung verwoben.

Auch wenn die Musikinstrumente aus Bronze (S. 372) nicht als Luren bezeichnet werden, sind offensichtlich diese bronzezeitlichen Instrumente gemeint, und man hätte gern Belege dafür, daß sie noch ein Jahrtausend später in Gebrauch waren.

Interessant und positiv hervorzuheben ist die Beachtung der Tatsache, daß ein Kriegsgefangener sein römisches Bürgerrecht verlor und erst durch das ius postliminii wieder in seinen früheren Rechtsstatus eingesetzt werden mußte, was in einem Fall wie Cinna nicht ohne Probleme möglich war. Daß damit zugleich seine Familie ausgelöscht werden sollte, ist Fiktion, aber angesichts der Gegnerschaft des älteren Cinna zu Augustus durchaus plausibel.

Noricum gehörte zwar zum römischen Einflußbereich, wurde aber nicht schon 16 v. Chr. römische Provinz (S. 580), sondern erst eine Generation später.

Zum Abschluß einige Bemerkungen zu Formalia:
Das Personenverzeichnis hätte sinnvollerweise an den Anfang gehört, um den Überblick bei den vielen ungewohnten Namen nicht zu verlieren.
Die – im Gegensatz zu den Verzeichnissen – am Anfang stehende Karte überläßt es der Phantasie des Lesers, wo die Burgen des Inguiotar und des Segestes zu lokalisieren sind.
Der (nicht der Autorin anzulastende) Klappentext nimmt mit Sunjas Flucht leider ein wichtiges Element der Handlung vorweg.
Mir sind praktisch keine Druckfehler aufgefallen (nur S. 331 fehlt bei »Varus Heer« ein Apostroph, und der aus der Weihnachtsgeschichte bekannte Statthalter von Syrien hieß Quirinius und nicht Quirinus, S. 581).
Positiv sei vermerkt, daß das Titelbild kein Historiengemälde des 19. Jahrhunderts zeigt, wie in den letzten Jahren bei historischen Romanen üblich geworden, wenn auch der Lorbeerkranz als Chiffre für »Rom« keine direkte Verbindung mit dem Inhalt des Romans hat.

Fazit: Als Darstellung der römisch-germanischen Auseinandersetzungen auf aktuellem Stand ist Der Tribun auf jeden Fall den Romanen Jörg Kastners deutlich vorzuziehen. Als Liebesroman überzeugt er vielleicht nicht jede(n) Leser(in), da Sunja im Vergleich zu Cinna etwas blaß bleibt, er ist aber spannend aufgebaut und macht neugierig auf die zu erwartenden Fortsetzungen.

Weitere Informationen

Website der Autorin: http://www.iris-kammerer.de

Leserunden in Internetforen: Buechereule.de; Literaturschock.de

Rezensionen bei Romanforum.de; Literaturschock.de

Inhalt

Prolog: Gaius Cinna, Tribun einer der in Mogontiacum stationierten Legionen, bricht in Begleitung einiger Reiter mit einem Geheimauftrag aus dem Lager auf. Er soll überprüfen, ob der Germane Segestes zu Recht vor einem Aufstand warnt.

1. In einer germanischen Hütte kommt Cinna schwer verletzt wieder zu sich, kann sich aber nur allmählich daran erinnern, was passiert ist. Germanische Frauen pflegen ihn, vor allem ein junges Mädchen, die Tochter des Mannes, in dessen Gewalt er ist.

2. Ihr Name ist Sunja, Tochter des Cheruskerfürsten Inguiotar, der etwas später zurückkehrt, als Cinna schon auf dem Weg der Besserung ist. Der Fürst behauptet (was Cinna nicht glauben will), daß der Statthalter Varus mit seinem gesamten Heer von drei Legionen vernichtet ist.

3. Cinnas soll Sunjas kleine Schwester Saldir im Lesen und Schreiben unterrichten. In einer Sturmnacht versucht der Römer, sich davonzustehlen, doch stürzt er in eine Wolfsgrube und wird von Sunja sowie ihrem Bruder Hraban wieder eingefangen.

4. Cinna wird zum Sklaven gemacht, unterrichtet aber weiterhin Saldir.

5. Liuba, der älteste Sohn Inguiotars, kehrt zurück; er war es, der Cinna überwältigt und seine Begleiter getötet hat. Den Römer behandelt er, anders als seine Familienangehörigen, sehr grob und läßt ihn niedere Frondienste verrichten. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch prügelt er auf Cinna ein, bis Hraban den Römer in Sicherheit bringt.

6. Beim Holzsammeln stoßen Cinna und Hraban mit einem Wilderer zusammen, wie sie die germanischen Wälder in großer Zahl unsicher machen. Trotz dieser zusätzlichen Gefahr wagt Cinna einmal mehr einen Fluchtversuch, wird aber von Hraban erneut eingefangen.

Liuba heiratet Gunthis, die Tochter des Badwareiks. In dessen Gefolge kommt auch der Krieger Harjawakrs, dessen Erscheinen Sunja sichtlich erschüttert. Hraban provoziert ihn zum Streit, aus dem Harjawakrs aber siegreich hervorgeht. Später erlauscht Cinna, daß Sunja früher gehofft hatte, Harjawakrs’ Frau zu werden, bevor er sich dem Wolfsbund weihte.

7. Germanische Fürsten kommen zu Inguiotar, um sich zu beraten. Unter ihnen ist auch Arminius, den Cinna noch als römischen Offizier kennt, der aber zum Verräter geworden ist, wie Cinna erfahren muß. Arminius läßt den Tribunen foltern, um militärische Geheimnisse der Römer zu erfahren. Cinna wird halbtot geschlagen, bevor Sunja wütend fordert, die nach germanischer Sitte verbotene Mißhandlung einer Geisel einzustellen. Sie und Hraban bringen den Römer in Sicherheit.

8. Cinna wird von Saldir, Sunja, Hraban und ihrer Mutter Thauris gepflegt. Hraban nimmt ihn mit zu einem Opferhain und erzählt vom Aufstand der Hilfstruppen gegen Varus, den unzufriedene Fürsten wie Arminius angeführt haben.

9. Allmählich beginnt der Winter. Cinna begleitet Hraban und Sunja zu einem Quellheiligtum. Er verliebt sich heimlich in die schöne Germanin und scheint ihr auch nicht ganz gleichgültig zu sein, wie er an kleinen Signalen bemerkt. Sunja, die von einem Händler eine Vergil-Rolle gekauft hat, reitet nach der Ankunft eines Boten vom Hof.

10. Sunja soll einen Gefolgsmann des Arminius heiraten. Cinna gibt Hraban gute Tips für Sparringskämpfe mit seinem Bruder. Nach der Sonnwendfeier unterhält sich Thauris mit Cinna über dessen Familie. Ein Bote des Arminius kommt, und Liuba will ihm den Gefangenen ausliefern, gegen den Willen seines Vaters, der sich durchsetzt. Wütend verläßt Liuba den Hof.

11. Auf einer Hirschjagd erzählt Hraban Cinna, daß sein Bruder, einst römischer Decurio, die Römer haßt, weil sie seine frühere Verlobte umgebracht haben. Hrabans zukünftiger Schwiegervater Thiudawili kommt zu Besuch, ein alter Freund Inguiotars und der Römer. Cinna schlägt vor, Hraban und den jüngsten Sohn Inguiomers im Schwertkampf auszubilden.

12. Cinna rettet Saldir, als sie nachts krank zusammenbricht. Er bietet freiwillig an, dem kranken Fischer Godareths zu helfen, doch dessen als Seherin geltende Frau stößt eine dunkle Prophezeiung aus über das Unheil, das Sunja und Cinna bringen würden. Hraban verrät, daß Sunja einen brukterischen Fürstensohn heiraten soll. Ein Bote kommt, der Cinna für Arminius und dessen Vater Segimers fordert, doch Inguiotar verweigert nach wie vor die Herausgabe der Geisel.

13. Mit Hraban übt Cinna weiter das Kämpfen, nicht ohne Blessuren. Wieder kommen Leute des Arminius, um Cinnas Auslieferung zu fordern, doch diesmal mit Gewalt. Cinna kann verhindern, daß einer der Männer Inguiotar tötet, und beschützt dann die Frauen im Haus gegen die Angreifer. Dazu ergreift er das geweihte Schwert des Hausherrn, was große Bestürzung auslöst, als die Angreifer glücklich zurückgeschlagen sind, da sein Träger unberührbar ist. Cinna gibt das Schwert schließlich auf.

14. Beim Trunk erzählt Cinna Hraban von seiner Heimat. Er hilft den Germanen beim Bau einer verstärkten Palisade. Godareths stirbt und wird beigesetzt. Auf dem Rückweg begegnet die Familie einem Wolf, dem Cinna die Hand in die Schnauze legen kann. Hraban verschafft Cinna ein Schäferstündchen mit einer Magd.

15. Inguiotar reist mit seiner ganzen Familie und Cinna im Frühling zu einer Versammlung an der Visurgis. Dort sieht Cinna Sunja wieder. Arminius fordert vor einer Volksversammlung die Herausgabe der Geisel. Cinna selbst ergreift das Wort und macht den Fürsten klar, daß sie angesichts der Begeisterung des Volkes für Arminius um ihre eigene Macht fürchten müssen.

16. Cinna wird zusammen mit einem weiteren Gefangenen eingesperrt, einem schwer mißhandelten Überlebenden aus dem Heer des Varus. Ein Zweikampf soll über Cinnas Schicksal entscheiden, Hraban gegen einen von Arminius’ Männern. Am nächsten Morgen wird Cinna schon als Opfer vorbereitet, doch Hraban gelingt es, seinen Gegner zu besiegen.

17. Cinna kann also mit der Familie auf den Hof zurückkehren. Mit Ahtala, einem von Inguiotars Männern, spricht er über den Aufstand der germanischen Hilfstruppen. Er gibt weiter Fechtunterricht. Liuba will Cinna wieder drangsalieren, doch Saldir und dann auch Thauris stehen dem Römer bei.

18. Liuba verläßt den Hof im Zorn. Der begabte Inguiomers will sich wie sein Bruder von Cinna in der Fechtkunst ausbilden lassen. Reika, ein Mädchen aus dem Dorf, verführt Cinna, der die heimlich verehrte Sunja für unerreichbar hält. Ahtala berichtet dem erschütterten Cinna, wie er das Heer des Varus in einen Hinterhalt gelockt hat.

19. Hraban gibt Cinna zu bedenken, ob seine gefährliche Mission vielleicht dazu dienen sollte, ihn auszuschalten. Sunja erzählt Cinna, daß sie und Hraban lange als Geiseln in Italien lebten. Dagumers, dessen Sohn Daguvalda Sunja heiraten soll, kommt, um den Brautpreis auszuhandeln. In der Nacht warnt Thauris Cinna, daß er seine Liebe zu Sunja aufgeben soll, trägt ihm aber zugleich auf, das Mädchen zu beschützen.

20. Inguiomers kann bei einem Übungskampf zum ersten Mal seinen Lehrer Cinna besiegen. Sunja ist unglücklich über die ihr aufgezwungene Verlobung mit Daguvalda. Cinna zeigt ihr heimlich immer wieder seine Zuneigung. Reika bittet Cinna, ihn mitzunehmen, wenn er flieht. Sunja trifft Cinna beim Bad im See, doch wagt sie es nicht, sich ihm hinzugeben. Cinna versucht Hraban davon zu überzeugen, daß Daguvalda nicht der richtige Mann für seine Schwester ist, weil sie ihn verabscheut und er vielleicht auf der Seite des Arminius steht. Sunja und Cinna treffen sich noch einmal heimlich, aber sie weigert sich, mit ihm zu fliehen.

21. Als Daguvalda mit seiner Familie kommt, um Sunja zu holen, zieht Cinna sich zurück, bis Hraban erscheint, der erkennen mußte, daß Cinna recht hatte und Daguvalda für Arminius ist. Hraban fordert Cinna zur sofortigen Flucht auf, die er durch Bereitstellung von zwei Pferden schon vorbereitet hat. Cinna gelingt es allerdings, auch Sunja zur Flucht zu bewegen. Die beiden können ihren wütenden Verfolgern zunächst entkommen, haben aber Schwierigkeiten, in der Wildnis den Weg zu finden. Nach einer Nacht unter einem Feldvorsprung rasten sie in einer ehemaligen römischen Straßenstation.

22. Die beiden Flüchtlinge treffen auf Leute des Segestes, der sich schon bei der Versammlung im Frühjahr als Gegner des Arminius herausgestellt hat. Bei ihm sind Cinna und Sunja vorerst in Sicherheit, und Segestes läßt die Römer benachrichtigen. Nachts schleicht sich Sunja zu Cinna; die beiden lieben sich.

23. Cinna verkündet Segestes, daß Sunja mit ihm kommen wird. Ein Bote meldet, daß Hraban mit seinen jüngeren Geschwistern in der Nähe ist, bevor Hraban selbst erscheint, voller Scham darüber, daß er Liuba und Daguvalda vertraut hat, die von vornherein die Absicht hatten, Arminius zuzuarbeiten. Liuba wurde von seinen Eltern deswegen verstoßen. Cinna verkündet, Sunja zu seiner Frau machen zu wollen. Nach einer zweiten Nacht mit Sunja brechen sie auf, um Saldir zu ihrem Onkel Wakramers zu bringen. An der Grenze des Chattenlandes werden sie von den Verfolgern eingeholt.

24. Liuba will Sunja an sich bringen, doch Inguiomers stellt sich ihm in den Weg. Liuba ersticht seinen Bruder. Da nimmt Cinna den Kampf auf und tötet Liuba nach schwerem Ringen, sein Versprechen erfüllend, Sunja zu beschützen. Die beiden Toten werden zu ihren Eltern zurückgebracht, die überlebenden Geschwister und Cinna reisen weiter nach Süden. Hraban schlägt vor, auch Saldir zu den Römern zu bringen und nicht zu ihrem Onkel, wo ihre Sicherheit nicht gewährleistet sei. Auf einem chattischen Hof machen sie Rast und gelangen am nächsten Tag zu einem römischen Grenzlager, dessen Praefect sich bewegen läßt, nicht nur Cinna, sondern auch seine germanischen Begleiter aufzunehmen.

Epilog: Im Lager von Mogontiacum erlebt Cinna einige Enttäuschungen: sein Vater ist inzwischen gestorben, er selbst damit recht- und besitzlos. Hraban darf in seine Heimat zurückkehren, erhält aber keine römische Unterstützung gegen Arminius. Beim Oberbefehlshaber Tiberius trifft Cinna Sunja wieder. Tiberius läßt Cinna etwas zappeln, bevor er ihm verkündet, daß er als Plebeier wieder in sein römisches Bürgerrecht eingesetzt ist und als Praefect im Sondereinsatz gegen die Germanen dienen soll. Sunja und Saldir werden ihm überlassen.

Erste Veröffentlichung: 31. März 2004.
23. Oktober 2004: kleine sprachliche Korrekturen.
6. Februar 2005: Tippfehlerkorrektur.
6. März 2005: Reihenfolge umgestellt, Links.
Hinweis: Das Rezensionsexemplar wurde vom Verlag zur Verfügung gestellt.