Beate Kissel

Junos Rache : historischer Roman

Bergisch Gladbach : Bastei-Verl. Lübbe, 1999

(Zur Inhaltsangabe)

Bewertung

Das Erstlingswerk der deutschen Autorin, die als Lateinlehrerin in Hessen lebt, ist in einer ungewöhnlichen Perspektive verfaßt, nämlich konsequent aus der Sicht einer jungen Frau, deren Versuch, aus den ihr gesetzten engen Grenzen auszubrechen, in einer Katastrophe endet. Valeria sieht sich im Lauf der Handlung hin- und hergerissen zwischen dem naiven Glauben an die traditionellen Werte und Vorstellungen (die sie z. B. im Gespräch mit dem griechischen Erzieher noch verteidigt) und dem Wunsch, ihr Leben zumindest ein Stück weit selbst bestimmen zu können. Dieser Freiheitsdrang zeigt sich schon am Beginn, wenn sie – für eine Patriziertochter eigentlich unvorstellbar – auf eigene Faust durch die Gassen Roms streift, aber zum Schluß haben sich in Gestalt ihrer Familie noch einmal die konventionellen Kräfte durchgesetzt. Mit einer abenteuerlustigen Tochter wird der mos maiorum hier noch fertig, mit den viel größeren Kräften, die das Gesellschafts- und Regierungssystem der römischen Republik bedrohten, aber nicht, wie einige Andeutungen zeigen, die auf die Umwälzungen und Bürgerkriege der folgenden Jahrzehnte hinweisen.[1] Der Roman spielt in der zweiten Hälfte des Jahres 101 v. Chr., und es entbehrt für den Kundigen nicht der Ironie, daß Valerius Flaccus, der patriarchalische Verfechter der Römertugenden, im nächsten Jahr als unbedeutender Consul neben Marius den bürgerkriegsartigen Aufruhr um Saturninus und Glaucia hinnehmen mußte.

Ist eine solche junge Frau wie Valeria für diese Zeit vorstellbar? Zweifellos, wenn man an die besser bekannten Beispiele ab dem 1. Jahrhundert denkt. In manchem wirken die Heldin und ihre Umwelt freilich schon etwas modern, aber nie so, daß es den Rahmen des Möglichen sprengt und zu Anachronismen nach Art eines H. D. Stöver führt. Bei den eigentlichen Realien hat Beate Kissel sich streng an die Überlieferung gehalten und auf zumeist recht geglückte Art zahlreiche Sachinformationen integriert.

Einige Begriffe scheinen vielleicht zu modern (S. 17 “Soufflé”, S. 104 “Siesta”, S. 138 “Designerbranche”, S. 159 “Quicky”). In republikanischer Zeit gab es noch keine vigiles (S. 135, “Vigilien”). Der Name des Consuls von 102 wird einige Male versehentlich als “Catullus” angegeben (z. B. S. 163; richtig dagegen S. 95). Als Anredeform wird neben “du” gegenüber Fremden (und dem Leser) auch “Sie” gebraucht. Aus den Romanen Colleen McCulloughs ist die erfundene Ehe Sullas mit einer Julia übernommen (S. 191–192). Zur leichteren Orientierung des Lesers wäre vielleicht eine Karte Roms hilfreich gewesen.

Der Roman wirkt allerdings kaum einmal unangenehm didaktisch.[2] Dafür nimmt die unglückliche Liebesgeschichte den Leser oder die Leserin zu sehr gefangen, wenn sie auch nicht ganz frei von Klischees ist (Thumelicus erscheint durchweg sehr edel und tadellos, bis auf das eine Mal, wo er offenbar nicht aufgepaßt hat und Valeria ins Verderben stößt …). Man wüßte am Schluß des Buches gern, wie es mit Valeria und Thumelicus weitergeht; die Autorin scheint das Ende auch in Hinblick auf eine Fortsetzung konzipiert zu haben, die bisher allerdings noch nicht erscheinen konnte.

Weitere Meinungen

Hans-Ludwig Oertel, Rezension in: Die alten Sprachen im Unterricht, Bd, 47, Heft 4 (April 2000), S. 32–33:

„... Mit ihrem ersten literarischen Werk hat [die Autorin] nicht nur ein einfühlsames Sittengemälde der patriarchalischen und streng in Klassen gegliederten römischen Gesellschaft aus Sicht einer Frau entworfen, sondern sie führt dem Leser eine Fülle von kontrastreichen Szenen aus dem antiken Alltag vor Augen ... Die historischen und antiquarischen Fakten scheinen gut recherchiert, so daß der Lateinschüler nicht nur ein abwechslungsreiches und spannendes, sondern auch ein zuverlässiges Bild der damaligen Welt in sich aufnehmen kann. Das Buch könnte sich als Begleitlektüre zu Lektionen in der Unterstufe, die Szenen aus dem römischen Leben behandeln, bis zur thematischen Lektüre in der Oberstufe eignen.“

Inhalt

1. Die junge Senatorentochter Valeria, die Icherzählerin des Romans, ist unzufrieden mit ihren drei Sklavinnen, die sie leichtsinnigerweise selbst ausgesucht hat und die sich sehr ungeschickt dabei anstellen, ihrer Herrin beim Ankleiden zu helfen.

2./3. Valeria ist noch unverheiratet, obwohl es für sie mit siebzehn Jahren allmählich Zeit wird.

4. Sie kleidet sich gezwungenermaßen selbst an und geht frühstücken, was nicht alle Familienangehörigen tun.

5./6. Valeria ist zusammen mit ihrem Bruder unterrichtet worden und beschäftigt sich auch jetzt noch mit griechischer Philosophie. In der Küche erlebt sie mit, wie zwei Sklavinnen sich wegen eines gemeinsamen Liebhabers handgreiflich streiten.

7./8. Von draußen hört Valeria ein Geschrei. Sie spekuliert, daß es Jubel wegen eines Siegers über die Germanen sein könnte. Im Haus findet sie aber niemand, der etwas weiß.

9./10. So läuft sie vor das Haus, wo sie ihren Vater zusammen mit einer Schar seiner Klienten findet. Lucius Valerius Flaccus bestätigt seiner Tochter, daß Marius und Catulus einen endgültigen Sieg über die Germanen errungen haben. Valeria kann ihren Vater, der auf dem Weg in den Senat ist, überreden, sie auf das Forum mitzunehmen.

11. Dort ist aufgrund der Siegesnachricht eine große Volksmenge zusammengeströmt, in der Valeria den Kontakt zu ihren Sklaven verliert, die sie wieder nach Hause bringen sollten.

12. Sie versucht allein, den Weg zum Caelius zurückzufinden, verirrt sich aber und erhält zum ersten Mal in ihrem Leben direkten Kontakt mit dem Leben des einfachen Volkes. Nur knapp kann sie einem Mann entkommen, der sich an ihr vergreifen will.

13./14. Ziellos irrt Valeria weiter durch das Gassengewirr des Aventin und trifft auf die Puffmutter Messalina, vor der sie durch das Erscheinen einer Frau namens Marcia gerettet wird. Diese nimmt die verirrte Patrizierin erst einmal mit in ihre einfache Wohnung, bevor ihre Tochter Junia Valeria nach Haus begleitet.

15./16. Die beiden Mädchen freunden sich an, während sie im Haus der Valerier baden. Zur Strafe für ihre Eskapade darf Valeria nicht zum Triumphzug über die Germanen gehen. Junia kehrt nach Hause zurück.

17. Nach einigen Wochen macht sich Valeria heimlich auf, um Junia zu besuchen, findet sie aber nicht in der Wohnung.

18. Auf dem Rückweg trifft sie ihren Bruder Gaius, der gerade vom Heer des Marius zurückgekehrt ist. Er kann es bei ihrem Vater erreichen, daß seiner Schwester die Strafe erlassen wird.

19./20. Unter dem Vorwand, für den Triumph ein neues Kleid zu brauchen, besucht Valeria den Tuchmacher Aemilius, bei dem Junia als Weberin arbeitet. Ihre Sklavinnen und die Sänftenträger muß sie danach erst in einer Schenke suchen.

21. Vor dem Triumph bringt Junia den bestellten Stoff. Valeria debattiert mit ihrem Erzieher Menander über das Wesen des römischen Staates.

22. Beim Triumph haben die Valerier eine eigene Tribüne, auf der auch die teilweise wenig geliebte Verwandschaft Platz findet. Valeria macht sich Gedanken über mögliche Heiratskandidaten.

23. Am Schluß des Zuges kommen nach den beiden Triumphatoren Marius und Catulus die germanischen Gefangenen und das Heer. Erst kurz vor dem Heimweg trifft Valeria Junia.

24. Bei einem Gastmahl mit der Verwandten Aurelia kommt es zu einer Diskussion über die Freiheit von Sklaven.

25./26. Ohne Wissen ihrer Eltern besucht Valeria einen Sklavenmarkt, um einen der gefangenen Germanen zu kaufen. In gleicher Absicht sind dort zahlreiche Angehörige vornehmer Familien. Aurelia, die Frau Julius Caesars, kauft eine germanische Frau und Valeria mit Hilfe ihres Bruders einen stattlichen Germanen, angeblich einen Verwandten des Anführers Boiorix.

27. Der Germane gibt sich zunächst verschlossen, auch wenn er Latein versteht. Er soll neuer Türhüter werden.

28. Junia wird von ihrem Stiefvater mißhandelt. Valeria läßt ihn von ihrem Bruder und dem Germanen Thumelicus verjagen und Junia ärztlich behandeln.

29.–31. Die Valerier geben ein Gastmahl im germanischen Stil, bei dem Marius mit seiner Frau Julia Ehrengast ist. Dabei wird verabredet, daß Valerius zusammen mit Marius im nächsten Jahr als Consul kandidiert. Er mahnt seine Familie, sich vorbildhaft im Sinne der alten Römertugenden zu verhalten. Valeria darf deshalb das Haus nicht mehr allein verlassen.

32./33. Eines Nachts bemerkt sie im Garten seltsame Vorgänge: Thumelicus bringt seinem Gott Odin ein Opfer dar. Später bezieht er Valeria in ein festliches Opfer ein, bei dem er außer seinem auch ihr Blut darbringt. Die ohnmächtige Römerin bringt er in ihr Zimmer zurück und gesteht ihr seine Liebe.

34./35. Um ihre verbundene Hand zu verbergen, bleibt Valeria mit einer vorgetäuschten Krankheit im Bett und weiß nicht, wie sie sich jetzt verhalten soll. Von ihren Sklavinnen erfährt sie, daß Thumelicus keine Freundin unter dem Gesinde hat.

36. Gaius glaubt seiner Schwester nicht, daß sie sich selbst beim Apfelschälen verletzt habe.

37. Valeria unterhält sich mit Thumelicus, bringt es aber nicht fertig, ihm ihre Liebe zu gestehen.

38. Dies macht sie erst bei einem weiteren Treffen. Die beiden ziehen sich in ein Versteck im Garten zurück und verbringen die Nacht zusammen, doch ohne miteinander zu schlafen.

39. Von Junia muß Valeria sich erst über die körperliche Liebe aufklären lassen.

40./41. Gaius führt seine Schwester ins Theater und in eine Gaststätte aus. Valeria hat den Verdacht, daß er etwas mit Junia angefangen hat. Sie trifft sich wieder mit Thumelicus.

42. Zusammen mit Junia läßt sie sich von Messalinas Huren über Möglichkeiten der Schwangerschaftsverhütung aufklären. Junia gesteht, daß sie Gaius liebt.

43./44. Valeria schläft mit Thumelicus, ist anschließend aber enttäuscht und verzweifelt, weil ihr die Ausweglosigkeit dieser Beziehung klar wird. Sie versucht vergeblich, der Ehegöttin Juno zu opfern. Auch nach einem Gespräch mit Junia kann sie sich nicht entscheiden, wie es weitergehen soll.

45. Thumelicus besucht Valeria nachts heimlich in ihrem Zimmer. Sie verdrängt die dunklen Gedanken und fühlt sich nur noch glücklich.

46. Doch dann merkt Valeria an ihrer ausbleibenden Regel, daß sie schwanger ist (Junia befürchtet zeitweilig das gleiche). Sie schläft ein letztes Mal mit Thumelicus und geht dann zu einer Hebamme auf dem Aventin zur Abtreibung. Nach dem schauerlichen Eingriff bekommt sie ein schweres Fieber, so daß ein Arzt geholt werden muß. Gaius und ihre Eltern erfahren, was Valeria getan hat, und sind entsetzt.

47. Valeria wird aus der Familie ausgestoßen und vorerst unter Hausarrest gestellt. Ihr Vater droht, ihren noch unbekannten Liebhaber zu töten.

48. Thumelicus besucht Valeria noch einmal kurz und ist dann verschwunden. Von den Sklavinnen erfährt sie schließlich, daß Gaius ihn weggebracht hat. Gaius versichert, daß Thumelicus, der sich widerstandslos festnehmen ließ, lebt; er selbst hat nun doch vor, die eigentlich unstandesgemäße Junia zu heiraten.

49. Aber auch Valeria soll heiraten, nämlich einen älteren Mann vom Lande, um einen großen Skandal zu vermeiden.

50. Bei der Verlobung lernt sie ihren zukünftigen Ehemann Genucius kennen, der immerhin nicht so schrecklich erscheint, wie sie befürchtet hat.

51. Nach der Hochzeit verläßt Valeria mit ihrem Mann Rom. Dabei sieht sie Junia ein letztes Mal.

Anmerkungen

1. Valeria schreibt das Buch als alte Frau, aber noch vor Ciceros ersten philosophischen Schriften (vgl. S. 28), also vielleicht in den 50er Jahren. (zurück)

2. Der mehrmals apostrophierte imaginäre Leser scheint in der Zukunft gedacht zu sein, denn ihm werden mehrmals Sachinformationen erläutert, z. B. über die Sklaverei (S. 31). Valerias teilweise etwas spöttischer Ton in ihren Kommentaren erinnert ein wenig an Decius Metellus von John Maddox Roberts. (zurück)

23. Dezember 2008: Reihenfolge umgestellt, weitere Meinungen