Edinburgh : Canongate Books, 1995
Dt. Übers.: Ich, Hannibal : Roman. – München : Piper, 1999.
Hannibal ist ohne Zweifel eine der faszinierendsten Gestalten der alten Geschichte, weil er zu denen gehörte, die es schafften, das mächtige Rom herauszufordern. Wie bei den anderen vergleichbaren Personen (z. B. Spartacus oder Arminius) erschwert die magere und vor allem einseitige Quellenlage aber eine umfassende Darstellung; diese Lücke läßt sich nur durch Imagination füllen, was auch Romanautoren immer wieder reizt.
So ist Leckies Roman ein Versuch, insbesondere über modernes Psychologisieren eine Erklärung für die klassische Frage zu finden, warum Hannibal seine großen Erfolge letztlich nicht ausnutzen konnte. Sein Persönlichkeitsbild des Karthagers hat ein paar interessante Züge, überzeugt insgesamt aber nicht recht, weil eine nicht immer glückliche Mischung aus antiker und moderner Befindlichkeit dahinter steht. Solche Einschätzungen können naturgemäß aber nur subjektiv sein, und andere Leser mögen Leckies Hannibal für realistischer ansehen.
Vielleicht sollte man positiv hervorheben, daß Leckie auf jeden Fall das plumpe Schwarzweißgemälde eines Gisbert Haefs vermieden hat, obwohl er seinen Hannibal in der ersten Person erzählen läßt. Die zahlreichen und detailliert geschilderten Grausamkeiten, die den Roman durchziehen (für den Geschmack mancher Leser vielleicht zu ausführlich dargestellt) hinterlassen jedenfalls nicht den von Leckies Hannibal vielleicht erstrebten Eindruck, daß er immer nur auf römische Aggression reagiert habe. Vielmehr wird klar, daß die auch noch aus modernen Konflikten bekannte Spirale von Gewalt und Gegen-Gewalt ihre unheilvolle Wirkung entfaltet und der Krieg schließlich alle moralischen Hemmungen verfallen läßt. Hannibal ist dabei trotz seiner platonischen Anwandlungen (eine Fiktion des Autors) nicht besser als die Römer, die seine Frau vergewaltigen und das Grab seines Vaters schänden.
Wie in vielen Darstellungen Hannibals liegt das Schwergewicht auf den frühen Jahren bis Cannae (218 zu 63 Seiten), die Darstellung wird zum Schluß immer gedrängter, was aber aus der subjektiven Perspektive des schreibenden Hannibal zu erklären ist, zumal ihm ja die Ankunft der Römer bevorsteht.
Einige kleinere sachliche Versehen: Sollte Hannibal wirklich von Augurn in seiner Vaterstadt geschrieben haben (S. 31)? Ein Unterschied zwischen »Galliern« und »Kelten« (S. 195) ist fiktiv. In der Antike wurde Italien nicht mit einem Stiefel verglichen, Bruttium also auch nicht mit einem Zeh (S. 256). Ein römischer Consul würde in einem Brief an den Senat nicht seinen ganzen Cursus aufzählen (S. 287; das zweite S bei »Coss.« und das Komma zwischen »Tr.« und »Pl.« sind falsch). Ein Prätor war nicht der »höchste Beamte im römischen Staat« (Glossar, S. 294). »Hellebarden« (S. 57) gab es im Altertum nicht (Übersetzerfehler?); ebensowenig waren Mammuts bekannt (186).
Viele geographische Namen stehen in ihrer modernen (meist italienischen, aber auch spanischen oder arabischen) Form; ein System ist dabei nicht erkennbar. Im Glossar wird befremdlicherweise »Torino« als »das heutige Turin« erläutert, als ob es nicht mehr so hieße.
»Dyrrhacium« (S. 157) ist eine ungewöhnliche Form. Das Wort »onager« stammt nicht aus dem Punischer, sondern aus dem Griechischen (S. 126). Lateinfehler: der Autor scheint »Hannibalis» als lateinische Nominativ-Form des Namens anzusehen (S. 13 und öfter: »Hannibalis ad portas«; S. 108). Im lateinischen Satz S. 199 muß es »fuit etiam Scipio etc.« heißen. S. 215: richtig wäre »quot milites?«, aber Hannibal entschuldigt sich im Folgenden für sein schlechtes Latein.
Übersetzerfehler: »Lanzer« als Bezeichnung für einen römischen Soldaten (199; vielleicht als Lehnübersetzung für hastatus gedacht?). Perdomitus ist schwerlich als »verachtet« zu übersetzen (S. 274, vielleicht auf den Autor zurückgehend). Syntagma ist Neutrum, nicht Femininum (S. 202 und öfter). Die Form »Rhodeser« (S. 283) ist ungebräuchlich. Der Plural von Lanzenschaft lautet nicht »Lanzenschaften« (S. 160). »Paphlagisch« als antike Sprache ist wohl ein Versehen für Paphlagonisch (S. 156).
Limericks gab es in der Antike natürlich nicht; wenn Hannibal das bekannte über die tigerreitende Dame ins Lateinische übersetzt, kann man das aber mit einem Augenzwinkern akzeptieren (S. 21).
James Tan Ming Chong <http://www.mindef.gov.sg/safti/pointer/back/journals/2003/Vol29_1/8.htm> [2007-02-09]:
»[…] Ross Leckie manages to tell a moving and vivid tale in 243 pages. Hannibal is carefully constructed, where the pieces of Hannibal's background, his ancient world, and historical events are merged to present a picture of the man and his times. Leckie seeks not to analyse Hannibal but to portray him. In doing so, the novel rises above mere historiography. By adopting a first person narrative, Leckie lets Hannibal share his own story and experiences. The reader is therefore able to experience Hannibal's world of violence, atrocity, joy, pain and honour in a more direct and personal manner. Instead of cold history with echoes of adventure, the reader becomes involved in an adventure with echoes of history.«
Vor seinem Tod will Hannibal seine Geschichte erzählen.
Hannibal wächst in Karthago auf, während sein Vater Hamilkar auf Sizilien gegen die Römer Krieg führt. Er bekommt früh Einblick in die Unerbittlichkeit des Kampfes zwischen den beiden Völkern. Als die karthagische Flotte vernichtet wird, muß Karthago Frieden schließen. Der unglückliche Flottenführer Hanno wird ans Kreuz geschlagen, Hamilkar kehrt nach Karthago zurück.
Während Hamilkar unterwegs ist, um sich um seinen Besitz zu kümmern, revoltieren die mit ihm zurückgekehrten Söldner, die befürchten, um ihren ausstehenden Sold gebracht zu werden. Der Kampf wird mit großer Grausamkeit geführt, und zunächst behalten die Aufständischen die Oberhand. Erst als Hamilkar zurückkehrt, wendet sich das Blatt; er kann, begleitet vom jungen Hannibal, die Söldner schließlich besiegen.
Hamilkar läßt Hannibal einen feierlichen Schwur ablegen, niemals Frieden mit Rom zu schließen. In Spanien will er für Karthago ein neues Reich erobern und zieht mit seiner Familie nach Gades. Dort befreundet sich Hannibal mit dem jungen Fürsten Maharbal. Er bekommt sein erstes Pferd, den wilden Belleus, und tötet beim Kampf gegen Räuber zum ersten Mal Menschen. Fortan ist er noch mehr der Liebling seines Vaters. Hamilkar verheiratet seine Tochter mit Hasdrubal, der ebenfalls in Spanien tätig ist, und gründet Neu-Karthago. Er fällt im Kampf gegen aufständische Stämme.
Der erschütterte Hannibal bestattet seinen Vater. Er übernimmt jetzt unter Hasdrubal das Kommando über die Armee, die er zu einer Elitetruppe ausbildet und im Kampf erprobt, allen voran seine keltiberische Leibgarde unter dem Befehl des Castulo, die lernt, gleichermaßen zu Fuß wie zu Pferd zu kämpfen. Hannibal trifft die Häuptlingstochter Similce und verliebt sich in sie.
Hannibal will Similce heiraten. Hasdrubal schließt einen Vertrag mit den Römern und erkennt den Ebro als Grenze der karthagischen Expansion an. In seiner Begleitung ist jetzt der Kartenmacher Bostar. Hannibal lädt zur Hochzeit alle spanischen Häuptlinge ein. Similce wird zu seiner unentbehrlichen Stütze und gibt gute Ratschläge für den bevorstehenden Feldzug. Hasdrubal vergewaltigt Similce. Etwas später wird er von einem seiner Lustknaben ermordet, doch hinter dem Anschlag steckt der Karthager Bomilkar. Karthago hat ein Abkommen mit Rom geschlossen und befiehlt Hannibal, Spanien zu räumen, doch dieser belagert stattdessen das mit Rom verbündete Sagunt. Eine römische Gesandtschaft behandelt er rüde. Nach schwerem Kampf, in dem er sich auch persönlich exponiert, kann Hannibal Sagunt erobern. Danach bereitet er sein Heer auf den Zug gegen Rom vor, das Karthago den Krieg erklärt hat.
Hannibal, dessen Frau ein Kind erwartet, bricht nicht mit seinem ganzen stark angewachsenen Heer auf, sondern läßt einige Truppen in Afrika und Spanien (unter dem Befehl seiner Brüder) zurück. Von Bostar erfährt er einiges über die Römer und ihre Kampfesweise, was er noch nicht wußte. Sofort überlegt er sich Gegenmaßnahmen.
Viele der Völker, denen Hannibals Heer auf dem Marsch begegnet, widersetzen sich dem Durchzug, und Hannibal muß die Illergeten in Nordspanien und die Volcae an der Rhone in blutigen Schlachten niederwerfen. Unterdessen sind auch die Römer unter Führung des Consuls Scipio nach Gallien gezogen und wollen den Karthagern den Weg verlegen. Hannibal kündigt seinen Männern an, mit ihnen über die Alpen zu ziehen (was die Kelten zwar schon gemacht haben, aber noch nie im Winter). Similce bringt unmittelbar vor dem Aufstieg den Sohn Fuabal zur Welt. In den Alpentälern muß Hannibal den Widerstand eines weiteren keltischen Volkers, der Allobrogen, brechen, bis in großer Höhe die Natur selbst das größte Hindernis darstellt. Durch Schnee und Eis kämpft sich das Heer bis auf die Paßhöhe. Als es aufklart, kann Hannibal von dort Italien sehen, doch erfährt er zugleich, daß Fuabal gestorben ist.
Stark dezimiert, erreicht das Heer die Poebene. Dort treten ihm beide römische Consuln, Scipio und Sempronius, entgegen. In einem Reitergefecht kann Hannibal Scipio zurückschlagen, den sein junger Sohn rettet. An der Trebia findet Hannibal den geeigneten Ort für einen Schlacht mit den vereinigten consularischen Heeren. Es wird ein großer Sieg, doch vergeblich verfolgt Hannibal den fliehenden Sempronius. Bei der Rückkehr erwartet ihn eine grauenvolle Überraschung in seinem Lager: ein römischer Trupp ist dort eingedrungen und hat Similce vergewaltigt und mißhandelt; sie stirbt kurz darauf. Hannibal übt an Römern, die ihm in die Hände fallen, furchtbare Vergeltung und lebt nur noch für den Sieg über Rom.
Während des Winterlagers erreicht Hannibal die Nachricht, daß seine Brüder in Spanien den nach dort gezogenen Scipio geschlagen haben. Er will an den neuen Consuln, die ihm den Weg verlegt haben, vorbeimarschieren und läßt sein Heer durch Sümpfe ziehen; daß er dabei ein Auge verliert, kümmert ihn nicht weiter. Am See Trasimenus lockt er das Heer des Consuls Flaminius in eine Falle und erringt einen vollständigen Sieg. Doch noch wagt Hannibal nicht, nach Rom zu ziehen, sondern marschiert weiter durch Italien, eine Spur der Verwüstung zurücklassend. Der römische Dictator Fabius läßt ihn gewähren. Bei Cannae kommt es zur Schlacht gegen das Heer der nächsten Consuln, die mit dessen völliger Vernichtung endet.
Der Sieg stürzt Hannibal in eine tiefe Depression. Er geht nicht auf den Rat Maharbals ein, sofort gegen Rom zu ziehen, und schreibt vergeblich nach Karthago wegen Unterstützung, denn der Widerstand der Römer und der mit ihnen verbündeten italischen Städte ist ungebrochen; nur Capua öffnet dem Heer seine Tore. Doch wirklich entscheidende Hilfe, aus Karthago oder vom Makedonenkönig Philipp, bleibt aus. Bei einem Kundschafterritt, an dem Hannibal teilnimmt, kommt es zu einem Gefecht, in dem Maharbal fällt. Hannibal will jetzt über Bostar den Römern ein Friedensangebot machen, doch dann hört er aus Spanien, daß dort die Scipionen gegen seine Brüder erfolgreich sind und das Grab seines Vaters geschändet haben. Hannibal entschließt sich, weiterzukämpfen.
Hannibal erringt wieder mehrere Siege über die Römer und bekommt auch aus Spanien die Nachricht, daß Scipio gefallen ist. Er beginnt, Rom zu belagern, muß aber wieder abziehen. Auch Erfolge wie die zeitweilige Einnahme Tarents bringen keine Entscheidung, zumal die Römer Hannibals Brüder besiegen, die er aus Spanien zu Hilfe gerufen hat. Bei einem kleinen Gefecht wird er schwer verwundet und leidet auch nach seiner Genesung noch unter Schmerzen.
Der junge Scipio landet in Afrika, und Karthago ruft Hannibal zurück. Er will zunächst nicht gehen, entscheidet sich aber zum Aufbruch, als ein Zwischenfall (die Ermordung eines kleinen Kindes) zeigt, wie verkommen Teile seiner Armee geworden sind. Vor der Entscheidungsschlacht hat Hannibal eine Unterredung mit Scipio, der zugibt, viel von seinem Gegner gelernt zu haben. Bei Zama gelingt es Scipio, seinen Lehrmeister zu besiegen. Hannibal geht jetzt nach Karthago und entmachtet den Rat. Er will mit Scipio Frieden schließen und Karthagos Stellung sichern. Doch nach der Hannibal zugeschriebenen, aber in Wirklichkeit von seinen inneren Gegnern veranlaßten Ermordung römischer Gesandter fordert Rom die Auslieferung des Feldherrn. Hannibal sucht das ärmliche Zimmer, in dem sein Lehrer Silenus zuletzt gelebt hat, und findet dessen Schriftrollen, Plato und die Ilias.
Allein, in einem Fischerboot, flieht Hannibal aus Karthago und fährt in das östliche Mittelmeer nach Kreta. Auch von dort muß er weiterziehen, als ein Landsmann ihn erkennt und festnehmen will. Nach mehreren Zwischenstationen führt ihn seine Wanderung zu König Antiochus, den er in der Auseinandersetzung mit Rom unterstützen will. Hannibal versucht, die Flotte des Königs für den Kampf gegen die Römer auszubilden, doch nach Niederlagen des Landheeres muß er wieder fliehen, zuerst nach Armenien, dann nach Bithynien, dessen König Prusias er im Kampf gegen das mit Rom verbündete Pergamon hilft. Doch wieder fordern die Römer seine Auslieferung.
Hannibal schließt seine Aufzeichnungen ab und bereitet seinen Tod vor.
In einem Brief an Senat und Volk von Rom meldet der Consul Furius Bibaculus, daß er Hannibal tot vorgefunden hat. Er beseitigt die Leiche und kehrt nach Rom zurück.
11. Februar 2007: Erste Veröffentlichung.