Hermann Lemp

Herodes Attikus

München : Unverhau, 1978
München : Dt. Taschenbuch-Verl., 1980

(Direkt zur Bewertung)

Inhalt

Der greise Herodes Atticus schildert sein Leben. Er berichtet von seiner frühen Kindheit auf dem Landgut seiner Familie in Attika und ihrem Haus in Athen. Sein Großvater wurde von Nero hingerichtet; sein Vater fand das vergrabene Familienvermögen im Garten des Hauses (und erschlug bei der Auffindung einen Sklaven). Mit zwölf Jahren besucht Herodes zum ersten Mal Rom. Zwei Jahre später nimmt ihn sein Vater mit nach Delphi und Olympia; Herodes lernt auf der Reise Griechenland kennen und wird überall an dessen ruhmreiche Vergangenheit erinnert. Zusammen mit einem Freund soll er das Landgut der Familie auf Aigina besichtigen und wird dort von entlaufenen Sklaven entführt; einer von ihnen läßt sich bestechen, und so kommen Herodes und sein Gefährte wieder frei.

Herodes hat eine Liebesaffäre mit einer schwarzen Sklavin des in Athen ansässigen Philopappos, ehemaliger Herrscher von Kommagene. Nach dem Tod Kaiser Traians wird Hadrian sein Nachfolger. Herodes reist mit einer athenischen Gesandtschaft zu ihm, um ihm zum Herrschaftsantritt zu gratulieren. Bei der Rede vor dem Kaiser gerät Herodes durcheinander und muß abbrechen. Sein Vater ist darüber zunächst sehr verärgert. Herodes erlebt, wie das Haus des gestorbenen Philopappos zu einem prunkvollen Grabmal umgebaut wird, und übernimmt sein erstes öffentliches Amt, die Marktaufsicht in Athen.

Hadrian kommt nach Athen und nimmt Herodes in sein Gefolge auf. Der Kaiser beginnt mit einem umfangreichen Neubauprogramm für die ehrwürdige Stadt. Zu seinen Ehren führen die Athener unter Herodes' Leitung nach langer Zeit wieder die »Vögel« des Aristophanes auf. Durch Quadratus, der sich als Bittsteller an Hadrian wendet, lernt Herodes die seltsame Religion der Christen kennen.

Herodes wird von Hadrian auch weiterhin mit hohen Ämtern betraut, darunter der Aufsicht über die freien Städte Asias, wo er mit dem Proconsul der Provinz, dem späteren Kaiser Antoninus, aneinandergerät und führende Sophisten kennenlernt.

Als Begleiter Hadrians reist Herodes nach Ägypten. Er freundet sich mit dem jungen Antinous, dem Liebling des Kaisers, an. Hadrian geht es schlecht. Nach dem Besuch eines geheimnisvollen Sehers ist Antinous verschwunden. Man findet seine Leiche im Fluß; er hat sein Leben für das Hadrians opfern wollen. Nach Kleinasien zurückgekehrt, wird Herodes zum Kaiser gerufen, um am jüdischen Krieg teilzunehmen.

(Herodes unterbricht die Schilderung seines Lebens und berichtet von den Schicksalen seines Alters, in dem er keinen Menschen mehr hat, der ihn liebt. Er erhält Besuch vom Schriftsteller Lukianos, der aus seinen Werken vorträgt.)

Im Gefolge Hadrians reist Herodes nach Iudaea, wo wieder einmal ein Aufstand der Juden ausgebrochen ist, den die Römer mit großer Brutalität niederwerfen. Herodes rettet die junge jüdische Prinzessin Salome vor einem schlimmen Schicksal und nimmt sie als seine Geliebte mit nach Athen, wo sein Vater stirbt. Ein befreundeter Tribun berichtet ihm brieflich, wie der Aufstand Bar Kochbas endete.

Für ausgewählte Schüler gibt Herodes Rhetorikunterricht, reist aber nach Rom, als er hört, daß es Hadrian schlecht geht. Er trifft den todkranken Kaiser in dessen Villa in Tibur und ist zugegen, als Hadrian stirbt.

Herodes zieht sich den Zorn der Athener zu, als er das Legat seines Vaters, jedem Bürger jährlich eine Mine zu schenken, durch eine einmalige Zahlung ablöst, die er zudem noch mit alten Schulden verrechnet. Schließlich wird er von seinen Gegnern angeklagt und muß sich in Rom vor dem Gericht des Kaisers verteidigen. Anklagevertreter ist der afrikanische Redner Fronto. Herodes heiratet in Rom Annia Regilla, eine Verwandte der Kaiserin Faustina. Mit ihr bleibt er mehrere Jahre in Italien und wird Consul ordinarius sowie Lehrer der Prinzen Marcus und Lucius Verus.

Gegen den Willen seiner Frau kehrt Herodes nach Athen zurück. Die Ehe ist nicht sehr glücklich. Sein Sohn Atticus macht Herodes einigen Kummer, ganz im Gegensatz zu seiner Schwester Elpinike. In den ruhigen Jahren während der Herrschaft des Antoninus führt Herodes ein umfangreiches Bauprogramm in vielen Städten Griechenlands durch. So läßt er außer dem Stadion von Athen auch das von Delphi wiederherstellen, baut in Korinth und errichtet in Olympia eine Wasserleitung mit einem prunkvollen Nymphäum.

Annia wird noch einmal schwanger, stirbt aber an einer Fehlgeburt. Herodes beginnt zu ihrem Angedenken mit der Errichtung eines großen Odeions am Abhang der Akropolis. Von Antoninus nach Rom gerufen, wird Herodes von seinem Schwager Bradua des Totschlags an Annia Regilla angeklagt, kann sich aber erfolgreich verteidigen.

Nach dem Tod des Antoninus kehrt Herodes wieder nach Griechenland zurück. Er hält weiterhin Vorlesungen für einen ausgewählten Schülerkreis, zu dem unter anderen der junge Römer Aulus Gellius gehört. Nach dem Perserkrieg des Lucius Verus bricht im römischen Reich eine Seuche aus, die auch Elpinike das Leben kostet.

Herodes berichtet über sein nicht immer einfaches Verhältnis zu Marcus Aurelius. Sein Leben ist nicht ruhiger geworden; die Pest und die äußere Gefährdung des Reiches sorgen ebenso für unsichere Zustände wie die Intrigen der Gegner, die den greisen Herodes erneut beim Kaiser anklagen. Dem 75jährigen bleibt nichts anderes übrig, als zum Heerlager nach Sirmium an der Donau zu reisen, um die Anschuldigungen zu widerlegen.

Nach seiner Rückkehr bleibt Herodes endgültig in Athen, wo er noch einmal den durchreisenden Kaiser aufnimmt. Es kommt im ganzen Reich zu ausgedehnten Verfolgungen der Christen, denen viele die Schuld an den Unglücken geben. Herodes hat einen Traum mit schrecklichen Vorahnungen.

Der Gutsverwalter Eukrates berichtet vom Tod des Herodes und seiner Beisetzung (anscheinend vor den Augen der Öffentlichkeit im Stadion in Athen, in Wirklichkeit aber heimlich in Marathon).

Fünfzehn Jahre später erzählt Eukrates, wie Attikus das väterliche Vermögen verspielte und schließlich von Commodus als Verschwörer hingerichtet wurde.

Bewertung

Erfreulich ist, daß Lemp sich anders als die meisten Verfasser historischer Romane eine Gestalt aus dem quellenmäßig so gut erschlossenen östlichen Teil des römischen Reiches vorgenommen hat. Gerade über Herodes Atticus wissen wir recht viel, weil uns seine Lebensbeschreibung bei Philostrat erhalten ist, dazu zahlreiche Inschriften und Monumente.

Lemp hat dieses Quellenmaterial freilich nicht so gut genutzt, wie man gehofft hätte. Einen großen Teil des Romans nehmen die Schilderungen frei erfundener Gegebenheiten ein, vor allem die Freundschaft des Atticus mit Hadrian und seine Reisen mit dem Kaiser nach Ägypten und Iudaea. Dagegen fehlt völlig eine Erwähnung von Herodes' Ämtern in Rom vor seinem Consulat; es stimmt auch nicht, daß Herodes erst unter Pius in den Senat aufgenommen wurde (155). Herodes' Großvater Hipparchos wurde wohl unter Domitian hingerichtet, nicht schon unter Nero; ferner wurde Herodes' Sohn nicht von Commodus getötet, sondern ist noch 209/210 als Amtsträger in Athen bezeugt. Ansonsten hält sich der Autor aber durchaus an die Quellen und die einschlägige wissenschaftliche Literatur (vor allem wohl Graindors Buch von 1930; die Biographie von Ameling erschien erst nach Lemps Roman), der z. B. schon aufgefallen ist, daß Pausanias viele Bauten des Herodes nicht erwähnt (79), darunter Wasserleitung und Nymphäum in Olympia (177). Über die Gründe dafür wird auch weiterhin spekuliert (Habicht z. B. vermutet ein absichtliches Desinteresse des Pausanias an seiner eigenen Zeit).

Einige weitere sachliche Versehen seien richtiggestellt: Anachronistisch sind: »Colosseum« (16), der Ortsname »Antalya« (91 und öfter), »Campagna« (156), die Maßeinheiten »Kilometer« (175) und »Meter« (176, 181). Auch einen Ausdruck wie »Universität« (184) sollte man vermeiden. Ein Ausdruck wie »Problem der Sklaverei« (219) ist zu modern gedacht und dargestellt, so wie manches andere in diesem Buch; vgl. die Bemerkungen von Hesbergs (siehe unten). Das Panhellenion löste sich nicht nach dem Tod Hadrians auf (91), sondern bestand noch mehrere Jahrzehnte. Auch war Hadrian nicht der erste römische Herrscher seit Caesar (sic!), der Ägypten besuchte; auch Augustus und Vespasian (bei seinem Herrschaftsantritt) waren dort gewesen.

Ein früherer Rezensent hat dem Autor durchaus zu Recht vorgeworfen, daß er die Fremdartigkeit einer vergangenen Epoche zugunsten falscher Aktualisierungen nicht genügend berücksichtigt habe (siehe unten). Es bleibt zu fragen, ob ausgerechnet der in mehr als einer Hinsicht eine Ausnahme darstellende Herodes wirklich eine gute Wahl als Romanfigur war, ob nicht ein anderer Zeitgenosse (vielleicht der quellenmäßig ebenfalls gut bekannte Aelius Aristides?) eine bessere Wahl dargestellt hätte, um das 2. Jahrhundert n. Chr. in romanhafter Form darzustellen.

Literatur zu Herodes Atticus

Ameling, Walter: Herodes Atticus. 2 Bde. Hildesheim, 1983.

Graindor, Paul: Un milliardaire antique : Hérodes Atticus et sa famille. Cairo, 1930.

Habicht, Christian: Pausanias und seine Beschreibung Griechenlands. München, 1985.

Tobin, Jennifer: Herodes Attikos and the city of Athens : patronage and conflict unter the Antonines. Amsterdam, 1997.

Weitere Meinungen

Henner v. Hesberg, Gymnasium 87 (1980), 225-227:

»... So wirkt der hier geschilderte Lebensweg des Herodes etwas schemenhaft. ... Sein Leben wird ... zu einer Parabel des Zeitgeschehens, das sich in den Ereignissen, ausgehend von den Kriegen Hadrians in Judäa bis zu den Markomannenkriegen Mark Aurels, immer mehr verdüstert. Die auslösenden Momente in der persönlichen Entwicklung des Herodes reduzieren sich darin jeweils auf Ereignisse, die Trennung von der Geliebten, der Tod von Frau und Tochter und die Dummheit des Sohnes, ohne daß die seelischen Vorgänge und Entwicklungsschritte deutlich würden. Denn der Romanheld bleibt im ganzen eine vorgeprägte Person, ein wenig jähzornig, aber im Grunde nicht böswillig.

Aber hierin zeigt sich wohl ein allgemeines Dilemma des historischen Romans. Der fremde, fast exotisch wirkende Schauplatz erlaubt es kaum, die Entwicklung der einzelnen Charaktere nachzuvollziehen, sondern lädt zu einer breit ausgeführten Darstellung der Umwelt ein. Reizvoll könnte es allerdings scheinen, in dieser Unbestimmtheit der Person des Herodes einen Ausdruck der Zeit zu sehen, obwohl dieser Gesichtspunkt in dem Roman nicht weiter ausgeführt ist. Er eiferte ja den unterschiedlichsten Vorbildern nach, indem er wie die Sophisten der klassischen Zeit auftrat, öffentliche Bauten im ganzen Osten [sic] errichtete wie [e]in hellenistischer König{,} und Besitzer der verschiedensten Villen war wie ein römischer Adliger. Daraus [?] wird auch sein Mäzenatentum, das der Verf. zu einem Hauptthema des Buches erhoben hat, so undeutlich. Während Maecenas in seinem Kreis ein fest umrissenes Ziel erstrebte, die Erneuerung der lateinischen Literatur zu klassischer Höhe, konnte Herodes bestenfalls den vorhandenen Vorbildern nacheifern. Außerdem waren seine Bauten keine uneigennützigen Werke, wie man manchmal bei der Lektüre des Buches glauben möchte, sondern es bestand geradezu ein moralischer Zwang dazu. Alle reichen Familien der großen Städte errichteten so die verschiedensten Bauten, und er, der mit seinem Reichtum alles Dagewesene überragte, war eben auch zu besonders großen Leistungen gezwungen. In der Darstellung dieser Tätigkeit ergeben sich überhaupt einige Unstimmigkeiten. So dürfte der Bau der Wasserleitung nach Olympia am meisten gekostet haben, während die Wasserfassade dann diese Leistung im Heiligtum sinnfällig zum Ausdruck brachte. Die Errichtung der Gebäude war zweifellos sehr wichtig, ebenso wichtig und teilweise auch kostspielig waren aber die dauernden Spenden für den Unterhalt, der Opfertiere für die Feste, des Öls für die Gymnasien und der Lebensmittel für die großen Speisungen. Hier scheint das Bild des Romans allzu stark an der Moderne orientiert (Der Stifter erstellt den Bau, und danach übernehmen ihn direkt die staatlichen Gewalten). In der Antike hingegen trat die Einzelperson nicht so sehr als abstrakter Spender hervor, sondern präsentierte sich mit dem Bau der Gemeinschaft und bekundete seine Verbundenheit mit ihr. Diese enge Verknüpfung des Individuums mit der Gemeinschaft führte dann andererseits zu den heutzutage kleinlich wirkenden Prozessen, wie sie geschildert werden, sie läßt aber auch den Gedanken des Verf. wenig glaubhaft erscheinen, daß das Grab des Herodes nicht über dem Stadion in Athen lag. Die Vorstellung vom verbitterten alten Herrn über Griechenland, der fern der menschlichen Gesellschaft sein Grab sucht, hat hier kaum seinen [sic!] Platz. Eher waren wohl die Verbundenheit mit der politischen Organisation der Stadt und der Wunsch nach persönlicher Repräsentation bestimmende Lebensnormen.

Diese Bedenken sind vielleicht allzu stark aus dem Blickwinkel des Altertumswissenschaftlers geschrieben. Gegenüber dem Leser, der eine Einführung in diese Zeit sucht - wie dieser Roman sie durchaus leistet - ist es hingegen wohl zu vertreten, ihm das Verständnis einer solchen zentralen Figur über parallele Erscheinungen aus der heutigen Zeit zu erleichtern. Allerdings wird darin auch etwas von dem Anspruch der Wissenschaft aufgegeben, eine Gegenwelt zu schildern, die zum Überdenken der eigenen, modernen Verhaltensweisen einlädt.«